Führung existenziell verstehen Dekonstruierende und rekonstruierende Überlegungen zu ›Existential Leadership‹

Anmerkungen

[1] Bollnow (1964, S. 220) beschreibt das Suchprogramm des René Descartes nach einem festen Punkt wie folgt: Er will »alles von mir fernhalten, was auch nur den geringsten Zweifel zuläßt«, um dahinter etwas unbedingt Gewisses zu finden, von dem her er dann »etwas Festes und Bleibendes in den Wissenschaften« ausmachen kann. Er spricht selber ausdrücklich von einem archimedischen Punkt: »Nichts als einen festen und unbeweglichen Punkt verlangte Archimedes, um die ganze Erde von ihrer Stelle zu bewegen, und so darf auch ich Großes hoffen, wenn ich auch nur das Geringste finde, das von unerschütterlicher Gewißheit ist«.

[2] Pindar besingt in seinen Siegesliedern erfolgreiche Athleten. Diesen Siegesliedern liegt eine Leistungsethik zugrunde, die ihn zu einem erstaunlich aktuellen Dichter werden lässt. Näheres siehe Vogel (2019).

[3] »Essenzialismus oder Essentialismus bezeichnet in der Psychologie die wissenschaftliche Annahme, dass etwa soziale Kategorien biologisch fundiert und daher weitgehend durch situative Einflüsse unbeeinflussbar sind. … In der Philosophie bezeichnet der Essenzialismus, dass Entitäten notwendige Eigenschaften besitzen, dass es also notwendige und kontingente Eigenschaften von Dingen gibt, die unabhängig davon sind, wie man die Dinge konzipiert oder beschreibt. Der Ansatz kann bis auf Platon und Aristoteles zurückgeführt werden kann, findet sich aber auch in der Scholastik eines Thomas von Aquin.« (Stangl, 2021).

[4] Vgl. dazu die Diskussion zwischen Alfried Längle und Alice Holzhey‐​Kunz: Holzhey‐​Kunz/​Längle (2008, S. 17). Eine ausführliche Auseinandersetzung findet sich bei Werner (2020).

[5] In der Wertethik Schelers beruht alles auf der Erkenntnis des Guten. Das Gute wieder ist allein in der Einkehr in sich selbst auffindbar. In dieser Innerlichkeit finden wir nach Sokrates, soweit wir Platon folgen, Tüchtigkeit, sittliches Heil, und wünschenswerte Tugenden. Zentrales Anliegen von Platons Ideenlehre ist die Erkenntnis des Guten, das – man möchte sagen – strukturell an eine vorgegebene, prästabile kosmische Ordnung gekoppelt ist. Intuitiv erfahrbare Wertphänomene erfüllen bei Scheler eine ähnliche Funktion und folgen derselben Mechanik: Sie sind erfahrbare geistige Gegenstände eines Wertehimmels, sie sind objektiv und wirken auf das Handeln. Vgl. Scheler (2016), Kapitel 7.

[6] Das wissen aber offenbar auch die Autoren, denn an anderer Stelle betonen sie: »(v)erantwortungsvolle Leader sind immer in einem … Austausch mit dem Wert im Außen und der Resonanz im Innen« (135).

[7] Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, unterstreicht in einem Interview hinsichtlich ethischer Fragen im Unternehmen den Horizont des emotionalen Mitseins, in dem jede ethische Frage steht: »Man muss einen emotionalen Bezugsrahmen herstellen, … eine ›emotive Responsiveness‹ … Übertragen auf den Unternehmenskontext bedeutet das, dass … eine emotionale Identifikation mit den von einer Entscheidung betroffenen Mitarbeitenden oder Kooperationspartner[n] stattfinden sollte, um diesen emotionalen Bezugsrahmen … herzustellen. Stell Dir vor, ein Mensch, den Du liebst, ist Betroffene[r]. … Das ist der Beginn einer emotionalen Öffnung für ethische Themen.« Buyx (2021), S. 39.

[8] Etwas verstörend beschreiben die Autoren eine Art ›Triebcharakter‹ der Sinnsuche: »(D)ort, wo beim Hund das Riechhirn sitzt, … ist beim Menschen die Basis des Fühlens … die Fähigkeit – gleichsam dem Hund –, eine Fährte aufzuspüren … Man muss die Beute riechen, um der Fährte nachzugehen.« (146).

[9] »Die ›Vision bildet den Wesenskern eines Unternehmens ab, neudeutsch: den Purpose. … Darauf basiert die emotionale Bindung zum Unternehmen, aus der sich wiederum das Engagement der Mitarbeitenden ableitet. … Wird eine Veränderungsmaßnahme im Einklang mit höherstehenden Werten wahrgenommen und zahlt damit gefühlt auf die Erreichung der Vision ein, kann sie leichter mitgetragen werden.« Winkler (2021). S. 54.

[10] Der Rezensent hat sich nach jahrzehntelanger Management‐ und Führungstätigkeit als Logotherapeut und Existenzanalytischer Berater (GLE‑D), als existenzieller Coach und Supervisor, selbst von der Wirkmächtigkeit existenzanalytischer Methodik in zahlreichen Projekten, bei der Gestaltung von organisationalen Transformationsprozessen und in der Beratung von Einzelpersonen überzeugen können.

[11] Eine ausgesprochen gelungene Adaption der existenzanalytischen Strukturtheorie an organisationale Fragen bietet die Grundlagenarbeit von Kinast/​Milz (2013).

[12] Der Begriff »Humankapital« wurde übrigens zum »’Unwort des Jahres 2004« gekürt: »Der Gebrauch dieses Wortes aus der Wirtschaftsfachsprache breitet sich zunehmend auch in nichtfachlichen Bereichen aus und fördert damit die primär ökonomische Bewertung aller denkbaren Lebensbezüge, wovon auch die aktuelle Politik immer mehr beeinflusst wird. Humankapital degradiert nicht nur Arbeitskräfte in Betrieben, sondern Menschen überhaupt zu nur noch ökonomisch interessanten Größen.« (Unwort des Jahres).

[13] Beispiele sind u.a. die »Teal Organizations« nach Laloux (2014) oder die sogenannte »Theory U« von Otto Scharmer (2007). Eine fundierte und sehr lesenswerte organisationsoziologische Kritik hierzu findet sich bei Kühl (2015).

[14] Eine ausgesprochen lesenswerte soziologische Einordnung der Emotionalisierung von Organisationen bieten Senge und Zink (2019).

[15] Diesen Gedanken entwickelte bereits Maslow (1998, S. 73) in Bezug auf Douglas McGregors »The Human Side of Management« (1960).

[16] Die systemtheoretische Literatur kennt dies unter dem von Luhmann geprägten Begriff der ›brauchbaren Illegalität‹. Als literarische Vorlage dient oftmals Heinrich von Kleists ›Prinz von Homburg‹. Vgl. z. B. Nagel (2013) oder Kühl (2020).

[17] Bauer (2021, S. 13) problematisiert die m.E. nicht‐​triviale Frage, inwieweit der personale Freiheitsbegriff der Existenzanalyse eine substanzmetaphysische Rückversicherung hat oder nicht.

[18] Ein solches Missverständnis liegt m.E. dem Neuwaldegger Ansatz mit dem programmatischen Titel: »Being in Organizations«, zugrunde. Vgl. Jantscher/​Lauchart‐​Schmidt (2021)

[19] Lechtape (2020).

[20] Nur ein Beispiel aus dem reichhaltigen Spektrum: Höttges (o.J.).

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