Führung existenziell verstehen Dekonstruierende und rekonstruierende Überlegungen zu ›Existential Leadership‹

Konzeptionelle Elemente

Mut zur Subjektivität

Das nun folgende fünfte Kapitel widmet sich Entscheidungen unter Unsicherheit und Ungewissheit in Transformationsprozessen.

Hier stellen sich zwangsläufig zentrale knifflige Aspekte von Leadership in den Raum und werfen Fragen auf, die auch ethische Implikationen besitzen: Authentizität, Gewissen, und Über‐​Ich. Diese werden konsequent aus der existenzanalytischen Perspektive der 3. Grundmotivation heraus beantwortet und methodisch auf die Perspektive der Führungskraft fokussiert.

Die Autoren fordern deshalb den »Mut zur Subjektivität« (157), der im Folgenden exemplifiziert wird:

»Worauf kann sich der Leader beziehen, wenn er Entscheidungen jenseits von Fakten und Prognostizierbarkeiten fällen muss? Die Antwort darauf ist einfach und komplex gleichermaßen: Er muss sich auf sich selbst beziehen.« (157). Dabei darf er sich nicht an Theorien orientieren oder in soziale Gefüge pressen lassen (ebd.). Denn allein was sich aus dem Inneren heraus meldet, »mündet … in einem authentischen Handeln des Leaders« (158).

Authentizität

»Ein authentischer Leader erfüllt seine Führungsrolle … nach seiner Façon« (159). »Das Authentische macht den Menschen freier, weil er Bezug nimmt auf sein Wesen und dadurch an Halt und Sicherheit gewinnt. … Wer wahrhaftig ist, kann in den Spiegel schauen, weil das, was er tut, mit seinem Wesen übereinstimmt« (ebd.). Das existenziell Zentrale dabei ist, dass er »in Übereinstimmung … mit seiner Moral handelt.« (160).

Gewissen

Im Gewissen ist »Moralität an die Person gebunden« (162). Die Person wiederum spricht sich in platonischem Optimismus als »das höchstpersönliche Verhältnis des Einzelnen zum Guten, Wahren und Schönen« aus (ebd.) Daher ist bei komplexen und unübersichtlichen Entscheidungen mit »Blick auf alle betroffenen Werte in der Waagschale« die »unglaubliche Komplexitätsreduktion auf ein Gefühl möglich, das dem Leader über alle digitalen Informationen hinaus Orientierung gibt.« (162f.). Dabei ist das »Gespür … der Kompass, der in die richtige Richtung zeigt.« (163).

Über‐​Ich

Im Kontrast zum personalen Gewissen, subsummieren die Autoren jegliche Formen gemeinschaftlicher Spielregeln unter dem Über‐​Ich. Ihm komme die Funktion von Verboten und Idealen zu. Und es repräsentiert in der Lesart der Autoren, die leitenden gesellschaftlichen Traditionen, Wertvorstellungen und Normen. Das Über‐​Ich ist demnach diejenige Instanz, die uns darüber informiert, wie wir uns verhalten sollten. Dort konstituiert, stabilisiert und manifestiert sich die Gemeinschaft (163f.).

Die Gewissenserkundung unter der Fragestellung: »Wie exploriert ein Leader sein Gewissen?« (169 ff.), kulminiert in der Empfehlung, das ›Über‐​Ich‹ vom Gewissen dadurch zu unterscheiden, »indem sich der Leader fragt: Wenn ich ganz allein auf der Welt wäre und es nur um mich ginge, was wäre dann das Richtige?« (173).

Prozess‐​Elemente

Die restlichen Seiten des Buches im sechsten Kapitel (175ff.) gießen das zuvor Gesagte in eine ›geistige Landkarte‹. Hier wird gewissermaßen kondensiert:

Noch einmal wird auf den Punkt gebracht, worum es geht, wo der Hebelpunkt von ›Existential Leadership‹ ansetzt und wie die Vorgehensweise ist. So beschreibt der letzte Abschnitt in aller Kürze den »Rollout« des Transformationsprozesses als »Kaskadierung im Unternehmen« (193f.)

Hier greift der ›Existential Leader‹ auf jene anthropologischen Festlegungen zu, mit deren Hilfe die Existenzanalyse den Menschen in vier Grundmotivationen einfasst:

  1. Der Mensch braucht Schutz, Raum und Halt. (179)
  2. Der Mensch braucht Beziehungen. (180)
  3. Der Mensch braucht Beachtung, Gerechtigkeit und Wertschätzung. (182)
  4. Der Mensch fragt nach Sinn. (184)

Der Prozess folgt der Methodik entsprechend einer Top‐​down‐​Strategie. Und das Ziel ist es, mithilfe der entwickelten Transformationslogik ›Verfügung‹ zu erlangen, über die in »den Einzelnen, den Teams und dem Unternehmen innewohnenden … Möglichkeiten und Potenziale … sodass die Kreativität und die Produktivität im Unternehmen gesteigert werden kann« (193).