Von Hamsterkäufen bis zur Triage: der schwierige Umgang mit Schuld

Der Umgang mit Fragen von existenzieller Schuld prägt die Praxis von Logotherapie und existenzanalytischer Beratung: Ein junger Mann sucht Hilfe, weil er bei einem Verkehrsunfall einen anderen Menschen getötet hat. Dass das Gericht ihn rechtlich von jeder Schuld freigesprochen hat, ändert einerseits nichts an der Tatsache, dass er am Tod eines Menschen in irgendeiner Form beteiligt gewesen ist und ändert andererseits auch nichts an der damit verbundenen tief empfundenen existenziellen Schuld. Eine junge Abgeordnete hadert mit sich, weil sie im Bundestag für Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak gestimmt hat – und in der Folge zusehen muss, wie diese Waffen von einem Teil der Kämpfer nicht für die Selbstverteidigung, sondern für die tödliche Abrechnung mit anderen Gruppen eingesetzt werden. Eine berufstätige Mutter von zwei Teenagern entwickelt Schuldgefühle, weil sie ihren und den vermeintlichen Ansprüchen der Umgebung (Familie, Partner, Beruf, Nachbarn etc.) nicht gerecht wird.

Schuld ist hier nicht lediglich eine moralisch‐​ethische theoretische Kategorie etwa des Rechts, wo weitestgehend geklärt ist, was eine Gesellschaft sanktioniert, um sich selbst und das Individuum zu schützen. Schuld lässt sich auch grundsätzlich existenziell verstehen: Selbst in guter Absicht und bei umsichtiger Lebensführung, beim Einhalten sämtlicher Normen und Regeln können wir anderen Menschen gegenüber schuldig werden, wie das Beispiel des verzweifelten jungen Mannes zeigt. Doch es gibt auch noch uns selbst. Und genauso, wie wir anderen gegenüber schuldig werden können, können wir uns selbst gegenüber schuldig werden.

Zum Menschenbild in Logotherapie und Existenzanalyse gehört es, den Menschen nicht als Ergebnis innerpsychischer Prozesse oder umweltlicher Einflüsse anzusehen, sondern als ein Wesen, das sich in dem, was im Leben zählt, selbst gestalten kann. Hier spielt seine Verantwortlichkeit eine besondere Rolle: Die Freiheit, die wir haben, bedingt auch, dass wir Verantwortung für unser Leben haben. In der Art, wie wir leben, wie und wofür wir uns entscheiden, antworten wir auf die Fragen, die uns das Leben stellt (»Verantwortung« – auf welche Lebensfragen geben wir Antwort?). Hier kommen auch Werte ins Spiel, die uns wichtig sind, an denen wir uns orientieren und die uns bei der Lebensbewältigung helfen. Die Eigenverantwortlichkeit besteht darin, ein zentrale Lebensaufgabe darin zu erkennen, unsere Möglichkeiten zu sehen und entsprechend unserer Überzeugungen, Überlegungen und Entscheidungen dieses Leben zu formen. Zu dieser »Schuldigkeit« nimmt der Begründer der Logotherapie, Viktor E. Frankl, Stellung: »Wenn man dem Menschen die Schuld nimmt (mittels psychologischer Erklärungen abspricht), nimmt man ihm auch die Würde.« – »Würde« – Schuld ist für Frankl also auch ein zentraler Ausdruck der Wesenshaftigkeit, des Daseins des Menschen. Sie gehört zu uns, ganz existenziell, und wir haben die Aufgabe, mit ihr umzugehen. In ganz unterschiedlichen Kontexten.