Von Hamsterkäufen bis zur Triage: der schwierige Umgang mit Schuld

Politik in der Herausforderung

Politik in der Herausforderung

Vor allem aufgrund dieser tiefen Dimension gewinnt das Thema an rasanter Brisanz. Die Frage »Was tun?« (gern auch in Vergangenheitsform, »Was hätte getan werden sollen?«) bestimmt daher auch die gesamtgesellschaftliche Debatte: Bereits 2012 entwarfen deutsche Behörden das Szenario eines weltweiten Corona‐​Ausbruchs. Hätten sie besser auf die aktuelle Krise vorbereitet sein müssen? In der Entscheidung, wie scharf die Verordnungen etwa in der Angelegenheit der Kontaktsperre ausfallen müssen, sind die Landesregierungen uneins und inkonsequent, als Beispiel sei hier das Hin und Her der niedersächsischen Landesregierung in der Woche vor Ostern genannt (Stichwort »Besuchserlaubnis«). Aber auch der Bezug zu anderen Katastrophen und Krisen wie Sars‐​Pandemie, Fukushima oder Tsunami wird genannt: Hätte Deutschland aus diesen Katastrophen lernen müssen? Vermeintlich geht es den Kommentatoren vor allem um Fehlentscheidungen, die in der Corona‐​Krise getroffen werden (und natürlich solche, die in der Vergangenheit getroffen worden sind). Wer in politischer Verantwortung steht, ist sich hoffentlich dieser zentralen Herausforderung bewusst: Was ist richtig, was ist falsch? Kann ich diese Entscheidung mittragen? Wie werde ich in Zukunft auf mein Verhalten blicken? – diese Fragen illustrieren, in welchen Dimensionen sich politische Entscheidungen derweil bewegen.

Und es wird deutlich, wie zutiefst existenziell die Coronakrise uns auch als Gesellschaft betrifft. Die Maßnahmen, die wir aktuell zur Bekämpfung der Auswirkungen von Covid19 erleben, greifen vielfältig in die persönliche Freiheit ein. Besonders problematisch ist, wenn alle Hilfen, Instrumente, Gesetze, Verordnungen und Ver‐ wie Gebote lediglich Ausdruck obrigkeitsstaatlichen Denkens sind. Eine offene Gesellschaft benötigt deshalb die Debatte, die derzeit nur recht verhalten geführt wird. Der Deutsche Ethikrat, ein vom Bundestagspräsidenten berufener Sachverständigenrat, fordert deshalb die Politik dazu auf, offener über das Ende der Pandemie‐​Beschränkungen zu sprechen: »Es ist zwar zu früh für Lockerungen, aber nie zu früh für eine öffentliche Diskussion über Perspektiven.« (Peter Dabrok, Vorsitzender des Ethikrats, NDR, 07.04.2020) Es müsse dabei nicht primär über einen Zeitpunkt diskutiert werden, sondern darüber, was in Zukunft sachlich und sozial nötig sei.

Die individuelle Ebene des Alltags (»Wie verhalte ich mich richtig?«) und die politische Ebene von Politik und Gesellschaft (»Sicherheit versus Freiheit«) verblassen allerdings an einem neuralgischen Punkt, an dem das Thema eine existenzielle Schärfe erlangt: Beim Umgang mit der Entscheidung über Leben und Tod.