Corona und der Mensch im Alltag
Contents
Corona und der Mensch im Alltag
In der Krise zeigt sich der Mensch von seiner verletzlichen Seite: Hamsterkäufe von Toilettenpapier, Nudeln und Konserven, Betreiber von Kaufhaus‐ und Ladenketten, die die Miete prellen wollen, Hersteller und Händler, die mit Wucherpreisen Schutzmasken und andere wichtige Ausrüstung zu vielfach überteuerten Preisen verkaufen, andere feiern Corona‐Partys … Es scheint einfach, dieses Verhalten als »schlecht« anzusehen, weil diese Bewertung möglich wird durch den gesellschaftlichen Kontext und die Situation, in der wir uns derzeit befinden. Normalerweise würden wir uns über denjenigen, der 20 Pakete Toilettenpapier kauft, höchstens wundern. Unsere moralische Bewertung angesichts leer »gehamsterter« Regale nimmt allerdings nun Maßstab an der Frage von solidarischem und nicht‐solidarischem Verhalten. Im Gegenzug kennen wir in der Krise ja auch »gute« Verhaltensweisen: Nachbarschafts‐ und Einkaufshilfen, Unterstützung für den lokalen Handel, Vermieter, die freiwillig auf Miete verzichten und schließlich sind es ja auch die meisten Menschen, die sich auch ohne Verbote an die Empfehlungen halten. Solidarität ist deswegen hier der zu benennende Wert, weil die Corona‐Krise uns zeigt, wie sehr wir auf ein Miteinander und Füreinander angewiesen sind.
Die eigene Verletzlichkeit besteht dabei nicht so sehr in der unmittelbar angesprochenen Intimität, wenn wir vor leeren Regalen stehen und uns nicht vorstellen mögen, was wir demnächst ohne Toilettenpapier anfangen. Sie besteht vielmehr im Bezug zu dem Leid der vielen Erkrankten und angesichts des Todes, der durch erschreckende Zahlen, etwa aus dem norditalienischem Bergamo, uns vor Augen geführt wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir das aus dem eigenen Erleben wissen (z. B. durch die Erkrankung von Angehörigen oder die Erfahrungen vom Arbeitsplatz z. B. in der Pflege), denn wir bekommen all dies deutlich auch medial übermittelt. Sie prägen derzeit unser Bewusstsein und die Frage, wie wir insgeheim darüber denken und damit ganz persönlich umgehen wollen.
Die Corona‐Krise erinnert uns auch an das, was Frankl die »tragische Trias« genannt hat, drei Dinge, die uns unwiderruflich immer wieder begegnen, die »vom Leben an uns herangetragen« werden: Leid, Schuld und Tod. Neben aller Freiheit und Selbstbestimmtheit, die wir als Menschen haben, können wir uns niemals vor dem Unvermeidlichen schützen. Alle drei Kategorien geraten in der Krise gewissermaßen unter das existenzielle Brennglas, wir sehen deutlich, wie jedes Leben durch Leid, Schuld und Tod herausgefordert ist. Allerdings sollten wir die tragische Trias unbedingt auch im Zusammenhang mit dem freien Willen sehen: In Logotherapie und Existenzanalyse gehen wir davon aus, dass der Mensch einen freien Willen hat. Wir sind nicht frei von den Bedingungen, wie sie auch sein mögen. Aber wir sind frei darin, alles uns Mögliche auf unsere je eigene Art zu gestalten. Frankls Appell an den freien Willen gilt in Zusammenhang mit Leid, Schuld und Tod dem Freiraum, dem Gestaltungsspielraum den wir haben, im Umgang mit diesen.