Arbeit und Sein – Von Sinndruck, Purpose und hybrider Arbeit

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Arbeit und Sein – Von Sinndruck, Purpose und hybrider Arbeit [wiederhergestellte Version April 2023

In seinem Beitrag beschäftigt sich Hans Rusinek mit dem steigenden Sinnbedürfnis im Beruf und resultierender Unter‐ und Überidentifikation. Dafür versucht er zunächst gesellschaftshistorisch den sich erhöhenden Sinndruck in Bezug auf die Arbeitsstelle nachzuverfolgen, um dann zwei mögliche Lösungen zu prüfen: Eine Hinwendung in Form von Purpose als gezielter Orchestrierung von beruflichem Sinn und eine Abkehr von der Sinnfrage im Hinblick auf eine fluidere und hybridere Zukunft der Arbeit.
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»Und, was machst du so?« – im Herzen der modernen Arbeitswelt liegt ein Paradoxon. Erstens ist Arbeit und spezieller die Frage welcher Arbeit man nachgeht, die maßgebliche Quelle für die Würde und den Selbstwert im Leben eines Menschen (Graeber, 2019). Zweitens sind die meisten Menschen aber massiv unzufrieden mit ihr (Wolter, 2019). Die Frage ist, wie beides gleichzeitig stimmen kann und wie es möglich wäre, diese Spannung zu entlasten.

Wie Arbeit zum Sinnzentrum wurde
Dass wir in der Arbeit eine Quelle von Sinn, also von nicht‐​materiellem Wert suchen, ist – übrigens genauso wie der Umstand, dass bei der Wahl unseres Partners so etwas wie romantische Liebe zählt – ein überraschend junges Phänomen. Den Ursprung, an dem Liebe und Arbeit mehr als reine Konventionen zum Bestreiten des Lebens wurden, sieht Alain De Botton im Übergang zur Moderne im 18. Jahrhundert (Founders Pledge, 2019). Modern sein, heißt also, Partner und Job sehr viel abzuverlangen. Dieses Phänomen verstärkt sich in unserer Spätmoderne auf zwei Weisen (Reckwitz, 2019): Mit der strukturellen Veränderung der Deindustrialisierung des globalen Nordens begann die Umstellung auf Wissensarbeit (z. B. Innovationsforschung, Produktdesign und Marketing), während die Produktion in sog. Billig‐​Regionen zog. Im Zentrum der Wissensarbeit ist die Macht der Erfindung (Lazzarato, 1996), ein ständiges Schaffen neuer Impulse für eine weitestgehend gesättigte Gesellschaft.

Eingeschoben sei hier, dass natürlich nicht alle Industriejobs zu Wissensjobs wurden, sondern gleichzeitig auch ein großes Service‐​Prekariat wuchs. Um aber die kognitiv anspruchsvolle Wissensarbeit zu ermöglichen, musste sich die Art der Arbeit ins Post‐​Tayloristische wenden: Projektarbeit statt Hierarchien, Kollaboration statt Fließband und eben Sinn statt Stechuhr.

Ein Sinngefühl ermöglicht erst kognitive Höchstleistungen, die man nicht einfach am Feierabend aus stellen kann oder will. Mit der Wissensökonomie wurde Arbeit immer mehr von einem Mittel zum Zweck (Lebensstandard halten) zu einem Zweck an sich (Lebensqualität vertiefen). Gleichzeitig entdeckte auf kultureller Ebene der Mainstream, inspiriert durch die Hippie‐​Bewegung, die Idee der Selbstverwirklichung für sich (Reckwitz, 2019). Die subversive Vorstellung, sein authentisches Ich zu entfalten, wurde mit der bürgerlichen Idee des Statuserhalts und ‑ausbaus verbunden: Wir wollen unser einzig artiges Ich leben, aber dafür keine bürgerlichen Privilegien missen, wir wollen sie dadurch sogar mehren (vgl. die sog. Positive Psychologie). Diese Kultur der erfolgreichen Selbstverwirklichung prägt unseren Anspruch an den Job: Wir wollen anerkannt werden, nicht dafür, dass wir ihn einfach machen, sondern dafür, dass wir ihn mit unserer eigenen Besonderheit ausfüllen.

Eine dritte, wirtschaftsethische Komponente kommt hinzu: Warum es nicht mehr reicht, seinen Job in einem gegebenen Wertesystem ordentlich zu machen, warum man also über seine Rolle hinauswachsen muss (s. das Phänomen des Job‐​Craftings), liegt auch daran, dass das Unternehmen als Sinnquelle selbst versiegt ist. Der moralische Bankrott (Collier, 2018) durch Steuerskandale, abnorme Lohngefälle und Verbrechen wie Dieselgate, spielt die Frage nach Sinn in die Arme des Arbeiters zurück. Diese drei Punkte, der Übergang in die Wissensökonomie, die Synthese von Erfolg und Selbstverwirklichung und die Vertrauenskrise der Unternehmen, führen zu unerfülltem Sinndruck auf der Arbeit. Wie soll er gelöst werden?