Lösungsweg II: Hybride Arbeit
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Lösungsweg II: Hybride Arbeit
Zielführender ist es also, die Frage selbst zu hinterfragen. Die Frage nach dem einen Sinn durch den einen Job zeigt, dass Lohnarbeit die Identifikationssäule ist, auf einzige der wir uns als Individuen und als Gesellschaft derzeit konstruieren – noch! Der Übergang in eine fluid Zukunft der Arbeit macht sie aber aus mindestens drei Gründen zum Auslaufmodell: Erstens macht uns diese Überidentifizierung mit Arbeit bewiesenermaßen krank. Die Psychotherapie lehrt, wie instabil es ist, seine Identität auf einer einzigen Tätigkeit zu konstruieren. Die Arbeit ist mit Identitätsbedürfnissen überfrachtet. In der postindustriellen Welt ist unser Werk immer weniger greifbar, wir sind nie ganz fertig, nie ganz zufrieden und beuten uns aus. Es fehlt das fassbare Sinngefühl, das uns Selbstwert gibt; Sinnquellen wie Religion oder Familie sind ebenfalls versiegt. Dieser ganze Sinndruck führt dann ganz praktisch dazu, dass viele eher sonntags Emails beantworten als montags abends ins Kino zu gehen.
Doch es ist nicht nur das Zerbrechen am Sinndruck, das unser zyklopenhaftes Arbeitsverständnis in Zukunft schwierig macht: Die meisten Arbeitsplätze, die es heute gibt, können bald verschwinden. Künstliche Intelligenz wird den Menschen in immer mehr Berufen ersetzen. Es werden neue Berufe entstehen: wie Designer der virtuellen Welt. Aber es ist naiv zu glauben, dass alle Versicherungsvertreter sich dazu umschulen und eine andere Frage, ob wir uns eine virtuelle Welt vorstellen wollen, die von Ex‐Versicherungsvertretern geschaffen wurde, wie Yuval Harari (2017) schreibt. Er fragt deshalb nach dem Sinn des Lebens in einer Welt gerade ohne oder mit weniger Arbeit. Was unsere Eingangsfrage umkehrt. Nicht zuletzt fußt die Frage nach dem Sinn in der einen Arbeit auf einem Arbeitsverständnis, das schon immer vieles ausgegrenzt hat: Sorge‐Arbeit, Haushaltsarbeit, Ehrenamt – solange solche Arbeiten nicht mitgemeint sind, wird keine progressive Arbeitsidentität konstruiert. Dieser enge Arbeitsbegriff darf in Zukunft, wenn wir sie einmal normativ verstehen wollen, keinen Platz finden.
Wenn diese zyklopische Sicht auf eine Arbeit also überwunden ist, was kommt dann an ihre Stelle? Vielleicht etwas, das wir Hybrides Arbeiten nennen könnten: Erste Signale erlebt man schon heute, etwa wenn man von Berufseinsteigern Sätze hört wie »Freitags geht nicht, da arbeite ich an meiner Graphic Novel«. Hybride Arbeit hat Standbein und Spielbein. Sie schafft psychologische Sicherheit, weil sie den Sinndruck auf eine Tätigkeit senkt – und damit bewiesenermaßen sogar die Performance im alten Job steigert (Sessions et al., 2020). Sie schafft Innovation, weil in den Spannungsfeldern die Zukunft liegen könnte und sie macht Platz in der Gesellschaft für ein Wirken jenseits der Erwerbsarbeit, wo Arbeit wieder so verstanden wird wie vom Heiligen Bernhard: Der sprach ja von tätiger Liebe und nicht von Paychecks.
Große Hybridarbeiter weisen uns den Weg: Man schaue sich an, was der Fotograf Arnold Odermatt aus seiner Zeit als Polizist gemacht hat. Dass Max Frisch vormittags Architekt war, sieht man heute noch an einem Schwimmbad in Zürich. Vielleicht kommt dann auch die vom Nobelpreiskommittee gelobte »narrative Vorstellungskraft” der Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk von ihrer Tätigkeit als Psychologin und der entspannte Flow des Rappers Dexter daher, dass er eigentlich Kinderarzt ist? Hybrides Arbeiten verneint nicht die Frage nach dem Sinn in der Arbeit, sondern stellt sie auf die richtigen Füße: Nicht die Arbeit bringt mir Sinn, sondern ich bringe Sinn in die Arbeit, als Anwältin, die auch Schwimmlehrerin ist, als Bäcker, der singt, als schreibende Ingenieurin. Damit liegt die Zukunft der beruflichen Sinnfrage in einer Öffnung, die uns wieder auf die wahre Frage dahinter besinnt: Der Sinn unseres Lebens und wie wir dieses als freie Menschen gestalten.