Don Quijote und Sancho Pansa: Miguel de Cervantes zeigt uns Wesentliches über’s Menschsein und Leadership‐Tugenden

Möglichkeiten des Menschseins

Möglichkeiten des Menschseins

Die unterschiedlichen Betrachtungsweisen und Perspektiven auf Cervantes‘ Don Quijote zeigen sich uns als etwas zutiefst Menschliches, das sich hier ausdrückt und uns anspricht. Und das vielleicht gerade deshalb auch nicht so gut zu fassen ist, weil wir alle damit schon vertraut sind. Was zunächst irritiert, ist vor allem, wenn beide Protagonisten als getrennte Einheiten gesehen werden. Werden aber beide als jeweilige Möglichkeiten des Menschseins betrachtet, sie gewissermaßen in mehreren Dimensionen quasi räumlich gesehen, zeigen sich vertraute Bilder, die fast ohne Weiteres verstanden werden können, weil sie ein universal‐​archetypisches Wissen in sich tragen: Einerseits ist da der hagere nahezu körperlose, asketische und hochaufgeschossene Quijote. Er vertritt die geistige Dimension des Menschen, in seinem Streben nach und dem Eintreten für Werte und dessen Sinnsuche. Dieser Aspekt wird durch einen (dem Menschen ebenfalls vertrauten) »Irrtum in der Zeit« überzeichnet in seiner Bezugnahme auf längst untergegangene Werte. Erst dies provoziert dazu, genauer hinzusehen, ihn, den tragischen Helden – auch mitfühlend – zu sehen, in seinem scheinbar sinnlosen Anhängen an längst vergangene Werte der Ritterlichkeit, im Angesicht einer Neuzeit, die dafür nur belustigtes Kopfschütteln aufzubringen vermag. Eine Umwelt, die wie im zweiten Buch mit allerlei Schabernack ein zynisches Spiel mit ihm treibt. Hier wird der Leser mit der Fragwürdigkeit der eigenen Sinnsuche, der Relativität und Kontingenz des eigenen Wertekanons konfrontiert. Andererseits ist da der dem Genuss und der Körperlichkeit zugetane feiste, runde Bauer, der das Realitätsprinzip eines gesunden Menschenverstands verkörpert, die Bauernschläue und den Opportunismus und so die Wächterfunktion der psycho‐​physischen Dimension des Menschseins repräsentiert. Der aber auch weiß, dass er nichts weiß und der daher zugleich einer unreflektierten unverbrüchlichen Treue anhängt, die aus dem folgt, was »Man« so tut, weil man es eben so macht, wenn man aus einer Schüssel gegessen hat:

»…und wäre ich gescheit, so hätte ich schon längst meinen Herrn im Stiche lassen müssen. Aber das ist einmal mein Schicksal, das ist einmal mein Pech: ich kann nicht anders, ich muß ihm überall hin folgen; wir sind aus demselben Ort, ich habe sein Brot gegessen, ich habe ihn lieb, er ist dankbar, er hat mir seine Esel geschenkt; und vor allem bin ich treu, und sonach ist es ausgeschlossen, daß uns je etwas anderes trennen könnte als Schaufel und Spaten.« (Cervantes, 2005, S. 804).

Nur zusammen gedacht und gesehen, nur in der Integration von geistiger, psychischer und physischer Dimension, ergibt dieses Duo das vertraute, uns beruhigende und uns schon verständige Bild der Unversehrtheit des Menschlichen. Unsere Unruhe entsteht erst durch ihr Getrenntsein und geht uns daher zugleich an.

Das illustriert sich in der Betrachtung des zweiten Teils der Geschichten: Hier sind die Protagonisten in ihren Erlebnissen über Strecken hinweg getrennt unterwegs. Der losgelöste Geist wird im Angesicht einer Welt desillusioniert, die sich ihm gegenüber so camoufliert, wie er sie illusionierte. Und er wird am Ende einer demütigenden Scharade – auf dem Totenbett – durch die Umstände doch noch »vernünftig«. Der Opportunismus des Pansa und seine praktische Lebensklugheit bewähren sich zwar in intuitiven und spektakulär salomonisch zu nennenden Entscheidungen, diese sind aber seinem Verstande nicht zugänglich, sie folgen geradewegs aus seiner Unverbildetheit, die es ihm erlaubt, vorurteilslos zuzuhören und genau hinzusehen. So kommt der eine ohne den anderen nicht ins Leben und der andere ohne den einen nicht in Erfüllung. – Dieser Aspekt, die Einheit des Menschen als dynamische geistige, seelische und leibliche Entität, ist für uns die eigentliche Faszination dieser Geschichte.