Conditio Humana – universeller Sinn des Lebens oder existenzielles Abenteurertum?
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Conditio Humana – universeller Sinn des Lebens oder existenzielles Abenteurertum?
Von Albert Camus stammt der Ausspruch, Ortega y Gasset sei »vielleicht der größte europäische Schriftsteller nach Nietzsche« – auf jeden Fall ist Ortega der bedeutendste spanische Philosoph des 20. Jahrhunderts. Im Zentrum von Ortegas Denken steht die Überwindung der Dichotomie von Vernunft und Leben. In seinen Vorlesungen setzt er sich u. a. mit Diltheys Deutung der Geschichtlichkeit des Lebensprozesses auseinander und entwickelt seine Kernthese, dass Vernunft überhaupt nur gelebt werden kann, insofern das Leben an sich selbst vernünftig verfasst ist. Dazu passt, dass Ortega im edlen Ritter von der traurigen Gestalt die Veranschaulichung der conditio humana als solcher sieht. Über Cervantes Werk sagt er, es existiere »kein Buch, dem die Gabe der symbolischen Anspielung auf den universellen Sinn des Lebens in höherem Maße verliehen wäre«. (Ortega y Gasset, 2008).
Auch Camus selbst thematisiert die Suche nach Sinnhaftigkeit des Menschen 1942 in seinem berühmten Essay »Le Mythe de Sisyphe«, indem er sich auf Quijote bezieht: »Also schließe ich, dass der Sinn des Lebens die dringlichste aller Fragen ist. Wie sie beantworten? Über alle wesentlichen Probleme (darunter verstehe ich Probleme, die möglicherweise das Leben kosten, oder solche, die die Leidenschaft zu leben vervielfachen) gibt es wahrscheinlich nur zwei Denkweisen: die von La Palisse und die von Don Quichote. Nur das Gleichgewicht von Evidenz und Begeisterung kann uns gleichzeitig Zugang zur Emotion und zur Klarheit verschaffen. Bei einem so schlichten und zugleich derart mit Pathos belasteten Thema muss also, wie man einräumen wird, die gelehrte, klassische Dialektik vor einer bescheideneren Geisteshaltung weichen, die ebenso vom gesunden Menschenverstand wie vom Mitgefühl ausgeht«. (Camus, 1942, S. 16).
Vladimir Nabokov (2016) verweist 1952 als Gastdozent an der Harvard‐Universität in seinen »Vorlesungen über Don Quijote« darauf, dass die (Pseudo-)Heldenfigur des Don Quijote sich längst verselbstständigt hat und nun für alles steht, »was sanftmütig, hilflos, rein, selbstlos und ritterlich ist. Das Spottbild ist zum Leitbild geworden.«
Für Miguel de Unamuno (1926. II, S. 25f.) hat das Abenteurertum Don Quijotes eine existenzielle Dimension, die er in besonders eigensinniger Weise deutet: »Sicherlich wird es Leute geben, die es Don Quijote verargen werden, dass er Sancho von neuem aus seinem ruhigen und gemächlichen Leben herausriss, von seiner friedlichen Arbeit abzog und ihn dazu bestimmte, Frau und Kinder zu verlassen, um trügerischen Abenteuern nachzujagen … Es gibt kleinliche Geister, die da behaupten, es sei besser, ein sattes Schwein zu sein als ein unglücklicher Mensch; und es gibt auch solche, die die heilige Einfalt in allen Tonarten preisen. Allein, wer einmal von der Menschlichkeit gekostet hat, der zieht sie – selbst noch im tiefsten Unglück – der Sattheit des Schweines vor. Daher muss man die Seelen seiner Nächsten in Unruhe erhalten, indem man sie in ihren tiefsten Tiefen aufwühlt … Man soll die Seelen beunruhigen und eine mächtige Sehnsucht in ihnen entfachen, selbst wenn man überzeugt ist, dass sie das Ziel ihres Strebens nie erreichen werden. Man muss den Sancho aus seinem Heim herauslocken, ihn aus dem Kreise seiner Frau reißen und ihn dahin bringen, hinauszugehen, um nach Abenteuern zu suchen: man muss ihn zum Menschen machen. Es gibt eine tiefe, in sich verschlossene, innerliche Ruhe, und diese Ruhe kann nur errungen werden, wenn man die scheinbare Ruhe des häuslichen Friedens und des Landlebens von sich abschüttelt.«