Multiple Diversität – Existenzielle Herausforderungen für TOP‐Teams

Existenz und Emotionen – keine Gefühlsduselei in Organisationen

Existenz und Emotionen – keine Gefühlsduselei in Organisationen

Nach existenziellem Verständnis sind Emotionen absichtsvoll, das heißt, sie drücken aus und lassen uns empfinden und verstehen, dass der Mensch auf etwas hin ausgerichtet ist. Sie sagen uns etwas über uns selbst und andere, und sie werden oft in Bezug auf die Werte und Überzeugungen empfunden, die wir vertreten. (vgl. Hanaway 2020, 7 ff.). Selbst oder gerade dann, wenn wir in unseren organisationalen Rollen ihnen nicht folgen können oder wollen.

Während wir geerdet und authentisch sind, wissen wir alle, dass wir nicht immer das Gleiche fühlen oder in jedem Kontext gleich handeln. Wir sind es, die darüber entscheiden können, verschiedene Aspekte unserer Gefühlsregungen mit unterschiedlichen Menschen in unterschiedlichen Kontexten in ganz unterschiedlicher Weise zu teilen und zum Ausdruck zu bringen.

Deshalb ist aus meiner Sicht die derzeitige landläufige Kritik an der ›Tugend der Authentizität‹, insbesondere innerhalb der systemtheoretisch dominierten organisationalen Debatte großenteils berechtigt (vgl. z.B. Niermeyer, 2019; Kühl 2019)! Dies allerdings nur, soweit sie als ›Joker‹ für die Kritik an rechtfertigungslosem, erratischem, triebgesteuertem oder psychodynamischem Verhalten innerhalb von Organisationen, dem Herausfallen von Rollen herhalten muss. – Dabei geht eine solcherart fundierte Kritik allerdings unreflektiert gemeinsam mit dem vorherrschenden reduktionistischen Menschenbild am Eigentlichen des Menschseins in Organisationen vorbei: Diese Vorstellung des Menschen, sofern er konzeptionell überhaupt ›Gegenstand‹ einer Erwägung ist, geht zumindest implizit davon aus, dass wir ausschließlich nach Glückserlebnissen jagen, auf Triebabfuhr abfahren und auf die spannungsreiche und sich entladende Erlebensabfolge einer Klimax der Homöostase aus sind. – Und so erscheint es immanent zweifellos folgerichtig, den Akzent der organisationalen Strukturen innerhalb der Organisationswissenschaften derart stark zu betonen und den Fokus hierauf zu richten und Organisationen konzeptionell auf diese Weise zu ent‐subjektivieren.

Die am Konzept der Authentizität vielfach und vielfältig geäußerte Kritik ist meines Erachtens allerdings vollkommen fehl am Platze, sobald wir uns mit existenziellen Fragen des Menschseins innerhalb von Organisationen befassen und je stärker die das Verhalten restringierenden Strukturen von Organisationen selbst erodieren und weniger Halt gebende Geländer bieten.  – Wir selbst können und werden unser Verhalten als angemessen ansehen, wenn wir angesichts einer uns tief berührenden oder uns kränkenden Situation im Freundeskreis ein paar Tränen verdrücken, würden uns aber eher nicht dafür entscheiden, dies am Arbeitsplatz zu tun. Wir können kontextbedingt entscheiden und in Adäquanz zur Rollenerwartung (Bollnow, 1978) frei wählen und uns zur Situation und uns zu selbst verhalten und dazu, mit wem wir wann unsere intimsten Gedanken und Wünsche teilen. Und wir können diejenigen identifizieren, mit denen wir nur Oberflächliches, Unwesentliches und Belangloses austauschen werden und nur innerhalb der Rollen aufeinandertreffen. – Die Rückbindung des angemessenen Verhaltens innerhalb von Rollen innerhalb organisationaler Gegebenheiten rechtfertigt per se also keine Infragestellung der Authentizität und Integrität des Menschen. Anders herum wird ein Schuh draus: Integrität ist exklusiv eine Frage des Kontexts und der individuellen verantworteten Stellungnahme zur spezifischen Rollenerwartung. Und im organisationalen Rahmen lässt sich Rolle nach meinem Verständnis je nach spezifischem Kontext verstehen als eine funktional bedingte Komposition mehr oder weniger spezifischer Erwartungen an eine Person innerhalb eines bestimmten Kontexts (z.B. einer Aufgabe; Position). Und in gutem traditionellen logotherapeutischen und existenzanalytischen Sinne Viktor Frankls ist ›Rolle‹ dann zu verstehen als die anfragende Faktizität eines gegebenen Weltausschnitts, zu der ich mich als Person in ›Freiheit und Verantwortung‹ so oder so verhalten kann, aber in jedem Falle Antwort geben und Stellung nehmen muss. (Zur diesbezüglichen sogenannten »kopernikanischen Wendung« siehe Frankl, z.B. 2002, S. 141).