Sinnkongruenz multipler Top‐Teams: Ein gemeinsamer Weg, der immer vorausliegt
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Sinnkongruenz multipler Top‐Teams: Ein gemeinsamer Weg, der immer vorausliegt
Die üblichen Wege in solchen Fällen beginnen etwa mit Events und Maßnahmen, die über z.B. inszenierte Pseudo‐Grenzerfahrungen Gemeinschaft stiften sollen: Outdooraktionen, Rafting‐Challenges, Survivaltrainings, Karaoke. Oder man findet gemeinsame Bespaßung in luxuriösem Eskapismus. Dort will man dann mal »wirklich ehrlich« miteinander sein und lässt sich entlang des Sieben‐Gang‐Menues von hochbezahlten und im Feuilleton gefeierten Rock’n’Roll-Philosophen illuminieren, von zumeist emeritierten Hirschforschern die Funktionsweise des Menschen erklären, sich von Doktor von Hirnhausen oder anderen Auftragskünstlern einmal so richtig die Meinung geigen oder von hochdotierten Narren den Spiegel vorhalten. – Sodann entwickelt man in Workshops eine gemeinsame Vision und Strategie, oder einen Purpose‐Slogan, um sodann nach Abklingen der etwa kurzzeitigen kathartischen Wirkung zu den dysfunktionalen Routinen des Alltags innerhalb der des Ökosystems der Top‐Ebene der Organisation zurückzukehren.
Anders herum wird ein paar Schuhe. Und mit diesen ist der Weg auch anders herum zu gehen: Dierke & Houben (2013, S. 47) stellen trocken fest: »Visionen und Strategien sind … nicht geeignet, um als Fundament und Ausgangspunkt (sic!) für Teamverhalten an der Spitze zu wirken.«
Sinnkongruenz eines Teams im Sinne gemeinsamen Strebens nach etwas, das auf eine gemeinsame Zukunft hin ausgerichtet ist, ist ein zu gehender Weg der Orientierung eines Top‐Management‐Teams, der entlang eines gemeinsamen Dialogs beständig zu gehen ist. Sie ist ausdrücklich nicht deren Startpunkt, und sie findet sich schon gar nicht in der (kompromisshaften) Komposition im Gegenwärtigen als so etwas, wie der gemeinsame Nenner des Narrativs einer unverbundenen Vergangenheit! Dies liegt nach meiner Einschätzung an dem zutiefst sehr ›eigenen‹ existenziellen Charakter, der ›finalen‹ Ausgerichtetheit der Sinndimension des nach Sinn suchenden Menschen, der auf etwas hinauswill, und der eben nicht einfach auf Beschluss eines Gremiums über die Vergegenwärtigung des künftig Gewünschten mit Leben erfüllt werden kann.
Dies beschreibt die von Viktor Frankl als ›Noodynamik‹ 1946 in die Logotherapie eingeführte Bezeichnung für das polare Spannungsfeld zwischen dem ›Sein‹ des Menschen und dem (nicht imperativ zu verstehenden) ›Sollen‹ des situativen Sinnanspruchs, der der Verwirklichung durch den Menschen harrt. Im Gegensatz zur Psychodynamik erlebt sich der Mensch in der Noodynamik als frei und daher von Werten angezogen, anstatt dranghaft getrieben zu sein. (Frankl, 1996).
Nach allem und dem Vielen was Viktor E. Frankl uns hinterlassen hat, gehören zwei Schritte gewissermaßen zur DNS logotherapeutischer Methodik und existenzanalytischer Erkenntnis. Um herauszutreten aus neurotischen Verstrickungen ist auf dem Weg zum Sinnerleben eine ganz bestimmte Schrittfolge unverzichtbar: Sozusagen als notwendige Bedingung, erstens, das Heraustreten aus der Selbstbezüglichkeit. Das heißt, das Eintreten in die Distanz zu sich selbst, in die Selbstdistanzierung, zu der der Mensch fähig ist (Frankl, 1996). Als hinreichende Bedingung aber ist, zweitens, die Selbst‐Transzendenz zu nennen, in der der Mensch sich – ausgehend von seiner Selbstdistanz – auf etwas hin ausrichtet, was nicht wieder er selbst ist:
»Nur in dem Maße, indem wir uns ausliefern an die Welt und and die Aufgaben und Forderungen, die von ihr her einstrahlen in unser Leben, nur in dem Maße, in dem es uns um die Welt da draußen und die Gegenstände geht, nicht aber um uns selbst oder um unsere eigenen Bedürfnisse, nur in dem Maße, in dem wir Aufgaben und Forderungen erfüllen, Sinn erfüllen und Werte verwirklichen, erfüllen und verwirklichen wir auch uns selbst.« (Frankl; 2002, S. 103).
Selbst‐Transzendenz hat als innere Voraussetzung die Selbstdistanzierung und als äußeren Referenzpunkt Werte, die in einem Sinn‐Zusammenhang stehend Orientierung geben. Mit dieser intentionalen Konstitution der Person geht das Vermögen zum Dialog und zur Begegnung einher.
Dies entspricht aus meiner Sicht nicht zufällig der Schrittfolge, die etwa auch Daniel Kahneman (2019) für die Herausentwicklung und das Erlernen neuer (kontra‐heuristischer) Einsichten innerhalb eines reflexiven psychischen Systems 2 als Voraussetzung für die Ausbildung neuer, handlungsfähiger Routinen innerhalb des System 1 beschrieben hat.
Und dies gilt im Falle von multiplen Top‐Management‐Teams in ganz besonderer Weise:
Folgt man Dierke & Houben (2013), dann ist dort »Selbstdisziplin … das wohl am häufigsten propagierte ›Gegengift‹ gegen dysfunktionale Verhaltensmuster im Top‐Team.« (ebd. S. 67).
Das ist so ungefähr das exakte Gegenteil dessen, wessen es beim ersten Schritt, des Eintretens in die Selbst‐Distanz, bedarf. Es geht nicht um’s Festhalten der inneren Anspannung und der selbstbezogenen Ziele‐ und der eigenen Erfolgsorientierung, sondern um’s Loslassen der psychodynamischen Überspannung und um das Einlassen auf die Entwicklung einer Top‐Leistungsgemeinschaft zu einer »Reflexionsgemeinschaft« (ibid, S. 81). Deren zu erlernende zentrale Aufgabe liegt folglich darin, durchaus im Sinne der Frankl’schen Selbsttranszendenz, immer wieder an die – allerdings – beständig vorausliegende gemeinsame Aufgabe anzubinden:
Wirksam führen an der Unternehmensspitze kann danach nur ein Team, das sich aus seinen routinierten psychodynamischen Copings und dysfunktionalen Bewältigungsmustern befreit. Ein Team, das lernt und immer wieder die Kraft aufbringt, sich auf seine eigentliche Aufgabe zu konzentrieren. (Dierke, Houben S. 90). Und das heißt ganz grundsätzlich, von sich selbst jeweils abzusehen und die gemeinsame Aufgabe in die Zukunft hinein zu transzendieren.
Je besser also hinsichtlich der Umwelt‐Mitwelt‐Eigenwelt‐Überwelt‐Dynamik der Top‐Management‐Mitglieder auf diesem Wege die Prozesskompetenzen ›Wahrnehmung – Dialog – Konsent‹ gelernt werden und aufeinander abgestimmt sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass Spannungen und potenzielle Konflikte, die aus ihren faktisch bestehenden und die Organisation grundsätzlich bereichernden Unterschieden entstehen (z.B. in funktionaler Hinsicht, Zugehörigkeit zu einer Fachlichkeit, Ethnie, Betriebszugehörigkeit, Geschlecht usw.), fruchtbar gemacht werden können und zum Erfolg der Organisation beitragen.
Grundsätzlich lässt sich also sagen, dass unter Bedingungen hoher Umweltturbulenzen divers ausgelegte Top‐Management‐Teams aufgrund ihrer funktionalen und multiplen Unterschiede dann in der Lage sein werden, eine effektive Umsetzung der an sich guten, weil die Vorteilhaftigkeit der die Vielfalt abbildenden Strategie zu erreichen, sofern sie sich in diesem Kontext mit dem Mechanismus einer interfunktionalen Koordination ausstatten. Dann wird die multiple Diversität des Top‐Management‐Teams auch unter Bedingungen hoher Umweltturbulenzen zu einer größeren Effektivität in der praktischen Umsetzung ihrer Zielsetzungen führen können. (vgl. auch Auh & Menguc, 2005).
Dann gelingt es dem sozialen System, die Erschütterungen, die aus den tektonischen Verschiebungen das Gesamtsystem betreffen, die z.B. ausgehend von veränderten eng gekoppelten Umweltbedingungen in die ›Mit‐ und Eigenwelt‹ hineingetragen werden, so zu prozessieren, dass eine tragfähige ›Überwelt‹ in Sinne der Vergegenwärtigung einer gemeinsamen prozessualen Zukunftsorientierung auf der Top‐Ebene konstruiert werden kann, deren (Noo-)Dynamik auf die gesamte Organisation abstrahlen wird.
Unverzichtbar scheint mir dabei die Einsicht, dass Vielfalt und Respekt sich auf dem Verständnis der gemeinsamen Verantwortung gründen, die die individuelle Freiheit des Eigenseins auf dieselbe Weise reflektiert, wie sie sie im Miteinander zugleich erfordert. Und dies wirft das Licht auf das Einverständnis, dass das Suchen nach der Bereicherung im Anders‐Sein der Anderen zugleich in der unbedingten Anerkenntnis der Conditio humana als miteinander Geteiltes aber zugleich nicht Aufteilbares zu suchen und auch dort zu finden ist!